6/25/2020
113 IA 43 - Schweizerisches Bundesgericht
grundsätzlich bloss kassatorischer Natur, was auch für die Stimmrechtsbeschwerde gilt (BGE 107 Ia 219 E.
1b mit Hinweisen). Der Erlass positiver Anordnungen kann daher in der Regel nicht verlangt werden. Eine
Ausnahme gilt nur, wenn der verfassungsmässige Zustand nicht schon mit der Aufhebung des
angefochtenen Entscheides hergestellt wird. Eine solche Ausnahme besteht im vorliegenden Fall nicht.
Deshalb ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, soweit damit mehr als die Aufhebung des
Regierungsratsentscheides verlangt wird.
2. Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und
kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den
Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (BGE 111
Ia 117 E. 2a, 202 E. 2, 285 E. 2; BGE 110 Ia 181 E. 3a, mit Hinweisen).
BGE 113 Ia 43 S. 45
a) Gemäss Art. 88 des bernischen Gesetzes über die politischen Rechte (GPR) kann mit Wahlbeschwerde
geltend gemacht werden, dass Gemeinde- oder Staatsorgane bei der Vorbereitung oder Durchführung von
Wahlen oder der Ermittlung der Wahlergebnisse gesetzliche Vorschriften verletzt haben.
Die Beschwerdeführer erhoben diesen Vorwurf im Verfahren vor dem Regierungsrat mit Erfolg. Sie
machten geltend, dass der Kandidat G. nicht vorschriftsgemäss aufgestellt worden sei und dass F. seine
Kandidatur zurückgezogen habe. Der Regierungsrat erachtete diese Einwendungen im wesentlichen als
begründet. Doch zog er aus den aufgezeigten Mängeln nicht den von den Beschwerdeführern gewünschten
Schluss, S. als gewählt zu erklären, sondern er hob die Wahl vom 8. Juni 1986 auf und ordnete eine neue
Wahl an. Es fragt sich, ob er damit das Stimmrecht der Beschwerdeführer verletzte.
b) Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt dem Bürger Anspruch
darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger
zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 111 Ia 198 mit Hinweis). Auch kann jeder
Stimmberechtigte verlangen, dass ein Nichtstimmberechtigter von der Stimmabgabe ausgeschlossen wird
(BGE 109 Ia 46 E. 3a). In gleicher Weise muss er sich dagegen zur Wehr setzen können, dass ein Bürger
zur Wahl in eine Behörde vorgeschlagen wird, der nicht ordnungsgemäss aufgestellt worden ist.
c) Die Beschwerdeführer erhoben daher mit Recht Wahlbeschwerde beim Regierungsrat. Doch sind sie zu
Unrecht der Meinung, der Regierungsrat hätte einzig die Wahl des zu spät aufgestellten Kandidaten als
ungültig und den korrekt vorgeschlagenen Anwärter als gewählt erklären dürfen. Aus der Regel, dass kein
Ergebnis einer Abstimmung oder Wahl anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger
zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt, folgt vielmehr, dass der Regierungsrat aus den
festgestellten Mängeln die richtige Konsequenz zog.
Am Wahltag waren die Verhältnisse in der Tat unklar. Es lagen zwei der Wahlanordnung entsprechende
Wahlvorschläge vor - F. und S. -, von denen der eine Kandidat nur mündlich den Rückzug erklärt hatte, was
vom Regierungsstatthalter gemäss Verfügung vom 15. April 1986 nicht anerkannt worden war. Der hievon
betroffene Kandidat, F., erhob gegen diese Nichtanerkennung keine Beschwerde, obschon im Streitfalle
genügend Zeit zur
BGE 113 Ia 43 S. 46
Klärung der Frage der Gültigkeit seines Verzichts noch vor der Abstimmung vom 8. Juni 1986 zur Verfügung
gestanden hätte. Es ist daher davon auszugehen, dass selbst dann, wenn man vom Vorschlag von G.
absieht, eine stille Wahl nicht hätte erfolgen können.
Dazu kommt, dass gemäss Auskunft der Staatskanzlei die wenige Tage vor der Wahl eingereichte
Kandidatur von G. als gültig bezeichnet wurde. Auch wenn diese Auskunft unrichtig war, hatte der
Stimmbürger am Wahltag zwischen mehreren Kandidaten zu wählen. Ergibt sich nachträglich, dass zwei
Kandidaten zu Unrecht zur Wahl standen, so bestätigt dies die vom Regierungsrat festgestellte Unklarheit.
Hätte etwa F. die Ablehnung seiner Kandidatur nach seiner Aufstellung sofort schriftlich erklärt, kann nicht
ausgeschlossen werden, dass zehn Stimmberechtigte noch rechtzeitig einen anderen Vorschlag hätten
einreichen können. Auch steht nicht von vornherein fest, wie die Stimmabgabe ausgefallen wäre, wenn die
Stimmberechtigten am Wahltag von der Ungültigkeit des Vorschlags von G. gewusst hätten.
Die Anordnung eines zweiten Wahlganges war demgegenüber geeignet, alle Zweifel über den wirklichen
Mehrheitswillen der Stimmberechtigten zu beseitigen. Dass es in der Folge zu einer stillen Wahl kam, ändert
hieran nichts. S. hätte sich durch erneute Aufstellung zur Wahl stellen können, wobei es ihm nicht verwehrt
gewesen wäre, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten. Nachdem er für den zweiten Wahlgang nicht mehr
von mindestens zehn Stimmberechtigten zur Wahl vorgeschlagen wurde und daher einzig der Vorschlag
von G. vorlag, war dieser zu Recht als in stiller Wahl gewählt zu erklären.
3. Die Beschwerde ist somit unbegründet und abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Von der Erhebung
von Kosten ist entsprechend der bei Stimmrechtsbeschwerden üblichen Praxis abzusehen.
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